Die Juniorwahl ist ein wichtiger Teil politischer Bildung. Sie zeigt, wie Wahlen funktionieren, welche Parteien es gibt – und wie unsere Stimmen etwas bewirken können. Besonders an einer vielfältigen Schule wie der HGS stellt sich die Frage: Was bedeutet meine Stimme – und wie will ich sie einsetzen? Lasse ich mich von einfachen Antworten auf Social Media überzeugen? Oder nehme ich mir die Zeit, selbst nachzudenken und hinter die Schlagworte zu schauen? Herr Werner Rietzschel hat sich die Zeit genommen mir ein paar Fragen zur vergangenen Juniorwahl zu beantworten:
Meine erste Frage wäre, seit wann finden die Juniorwahlen denn an der HGS statt?
Das kann ich gar nicht so genau sagen, weil ich erst seit drei, vier Jahren an der HGS bin. Davor hat das Herr Müller-Molenar organisiert. Aber seit ich hier bin, führen wir die Juniorwahlen regelmäßig durch – angefangen mit der Europawahl, dann, ich glaube, letzten Sommer die zweite Runde, und jetzt dieses Jahr die Bundestagswahl.
Was bedeuten die Juniorwahlen denn für die politische Bildung der Schüler?
Da gibt es ganz, ganz viel, was das an politischer Bedeutung hat. Zum einen geht es erst mal darum, dass die Schüler im Unterricht damit konfrontiert werden. Seitens der Lehrkraft in Gemeinschaftskunde, Ethik oder wo auch immer, dass man sie schon mal darauf hinweist, dass die Juniorwahlen stattfinden. Das bedeutet dann auch gleichzeitig, dass die Lehrkraft, damit die Schüler auch wissen, wo sie ihr Kreuz zu setzen haben (Wo es formal hingehört, NICHT bei welcher Partei es gesetzte werden soll! Anm.d.Red.) bei der Juniorwahlen, sich dann dementsprechend mit den Schülern hinlänglich beschäftigen. Was ist da auf dem Wahlzettel drauf, an Parteien? Was bieten die so an, für was stehen die so? Wer wird da gewählt? Also das ist so diese eine Ebene und die andere für die politische Bildung ist, dass die Schüler merken, lernen, dass ihre Stimme zählt. Das sie damit die Gesellschaft, die politische Landschaft beeinflussen können. Und damit auch so ein bisschen als politische Bildung zu wissen, okay, wie geht überhaupt so eine Wahl, was muss ich da für Sorgen haben, was muss ich da für Angst haben, was muss ich da machen, was muss ich da mitbringen. Dafür ist es ein bisschen gedacht, als Bildung.
Was wird mit den Juniorwahlen bezweckt, also was ist das Ziel hinter den Juniorwahlen?
Das Ziel hinter den Juniorwahlen ist, dass zum einen die Schüler sich politisch erstmal mit den Parteien auseinandersetzen und bilden. Aber gleichzeitig eben auch, wenn sie sich dann im Verhältnis setzen zu anderen Schulen. Mal erkennen, wie sieht die politische Landschaft in anderen Schulen aus, wie sieht es deutschlandweit aus. Man kann zum Beispiel fragen, wie sieht es an der HGS aus, also da sich zu verorten und zu merken, okay, wie ist das Umfeld, in dem ich mich bewege, politisch unterwegs. Das ist auch ganz interessant zu wissen, wenn ich mich ja an der HGS bewege. Wie stehen meine Mitschülerinnen und Mitschüler in dieser Schule eigentlich so politisch? Wo verorten die sich, wo verorte ich mich. Sich da so ein bisschen ins Verhältnis zu setzen. Das würde ich sagen, ist ein wesentlicher Bestandteil davon.
Wie erklären Sie sich die hohen AfD-Wahlquoten im Zusammenhang mit dem hohen Immigrationsanteil an der HGS?
Das ist ein sehr kompliziertes Feld, das so viele Gründe hat. Also da gibt es, würde ich sagen, mehrere Faktoren.
Der erste ist, dass die Schüler sich extrem auf den Social Media-Plattformen informieren und dort, je nachdem wie der Algorithmus arbeitet, sich davon ein bisschen leiten lassen. Es gibt dann einfache Clips, einfache Antworten auf komplizierte Probleme. Diese klingen erstmal verlocken, wenn man so jung ist und vielleicht auch nicht die politische Bildung so weit ausgebaut ist, dass man diese Komplexität von solchem Wahlverhalten überhaupt versteht und deswegen erstmal einfache Sprache bevorzugt, was Politiker und Politikerinnen oft nicht machen, da sie sich kompliziert ausdrücken und deswegen diese Clips erstmal Anklang finden. Das sieht man auch an der Bundestagswahl, dass da die Linke und die AfD sehr gut abgeschnitten haben. Beide Parteien, die auf TikTok gepunktet haben oder auf Instagram mit ihrer Jugend. Also mit Ansprachen die Jugendlichen treffen. Das würde ich sagen ist der erste Faktor, also Soziale Medien.
Der zweite Faktor ist, dass junge Leute merken, dass es mit den gängigen Parteien, die ihre Eltern vielleicht gewählt haben, eine längere Zeit so einen gewissen Stillstand gibt. Das es jetzt Parteien gibt, die sagen, es muss mal gehandelt werden, es muss auch mal Schluss sein mit debattieren. Was eigentlich eine Demokratie im Bundestag ausmacht. Jetzt muss mal jemand etwas durchsetzen, durchgreifen, es muss sich was verändern. Das da so ein bisschen ihre eigene Position sich verbessert. Und was den Migrationsanteil anbelangt ist es oft so, dass es auch hier um, also ist meine Auffassung, dass es ein bisschen um Konkurrenzkämpfe geht. Das heißt, dass man selbst, wenn man immigriert ist und hier angekommen ist, denkt, man hat es geschafft. Jetzt kommen neue Leute, die vielleicht auch wieder den Job streitig machen, die Wohnung streitig machen, den Wohlstand streitig machen, dass man sagt, okay, ich habe es geschafft und jetzt hinter mir die Tür zu machen. Also wir waren noch die guten Immigranten, wir haben uns noch angestrengt, meine Eltern haben sich angestrengt, aber diejenigen, die jetzt kommen, sind zum einen eine Gefahr für meinen Wohlstand und zum anderen aber auch nicht mehr die guten Migranten, wie wir sie sind. Da gibt es dann die Stereotype, die sind nur faul, die liegen nur rum, aber die Migranten, wie wir sind, wir haben noch ordentlich dafür gearbeitet. Das kann man auch sehen, wenn man nach Amerika schaut. Also das ist auch oft so, dass Donald Trump rechte Ressentiments bedient hat, gegen ausländische Menschen gewettert hat und trotzdem haben ihn diese Immigranten gewählt. Da hatten sie auch die Frage gestellt, warum wählen sie gegen ihre eigenen Interessen. War auch die Vermutung, dass die Leute, die es nach Amerika geschafft haben, eben sagen, wir jetzt mal hinter uns die Tür zu. Wir wollen jetzt keinen Wohlstand verlieren. Wir wollen nicht wieder abgewertet werden. Das könnte eine Erklärung sein. Die Dritte ist natürlich, dass man bei Schulen immer einen gewissen Prozentsatz an Schülern rausrechnen muss, die eben gern provozieren. Wie kann man die Lehrer am meisten ärgern? Indem man antidemokratisch wählt oder vielleicht was als funny ist bei den Klassenkameraden oder Klassenkameradinnen gesehen wird.
Was denken Sie über dieses Ergebnis der Juniorwahlen?
Meine persönliche Einstellung ist dazu, dass es mich natürlich schon beunruhigt, dass ich sehe, dass auf den vordersten Plätzen rechte bis rechtskonservative Parteien ganz weit vorne sind und die anderen Parteien der Mitte oder Mitte links sehr weit abgeschlagen sind. Also wenn man sich die AFD anschaut mit über 30%. Die mittlerweile vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft werden. Darauf folgt, dass es auf jeden Fall eine demokratische Partei, die CDU. Welche aber auch Leute in der Partei hat, die damit liebäugeln, mit der AFD zusammen zu koalieren. Weiß man nicht wie es jetzt ist, nachdem der Verfassungsschutz sie als gesichert rechtsextrem eingestellt hat. Die aber auch, was Migration und auch teilweise die Kürzung des Sozialstaats und Sozialleistungen anbelangt, in Richtung rechts tendieren. Obwohl da viele Leute natürlich auch in der CDU drin sind, die für das christliche Nächstenliebe Bild stehen. Die sich sehr einsetzen für freiheitliche Gedanken, sich für LGBTQI+ stark machen. Also ich will da nicht die ganze Partei in Verruf bringen, aber es ist eben, was ich glaube. Und es beunruhigt mich, dass viele auch die CDU wählen, weil ihnen quasi die AFD zu krass ist, aber die CDU auch in Teilen Positionen vertritt, die sich mit der AFD, hinsichtlich Härte und Law and Order Politik und Kürzung des Sozialstaats decken. Dann kommt nach den 20%, die die CDU hatte, glaube ich, weit abgeschlagen dann eine sozial freundliche, sich für Leute mit unteren und mittleren Einkommen oder darunter noch Sozialhilfeempfänger einsetzende Partei mit so 12, 10, 8%. Wenn man sich überlegt, welche Vielfalt in der Schule vertreten ist, von Mittelschicht bis migriert und vielleicht nicht so viel Geld. Überrascht mich das dann doch eben und schockiert mich, dass die Leute so teilweise gegen ihre eigenen Interessen wählen, finanziell, aber auch kulturell. Das schockiert dann schon ein bisschen. Also dass da wirklich so eine große Gap ist zwischen Mitte, Mitte links und rechts existiert.
Vielen Dank für das Interview!
Die Juniorwahlen machen deutlich, wie wichtig politische Bildung ist – nicht nur im Unterricht, sondern überall dort, wo junge Menschen über ihre Zukunft nachdenken.
#mab

